Kinästhetik in der Pflege | Konzepte für eine effektive Mobilisation

Man hört immer wieder etwas von der sogenannten Kinästhetik in der Pflege. Aber was verbirgt sich hinter diesem Konzept und wie kann es Pflegern und pflegenden Angehörigen bei der Arbeit helfen? Und wie mobilisiert es den Pflegebedürftigen? Wir klären auf!

Kinästhetik
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Definition Kinästhetik

Kinästhetik beschäftigt sich mit der Wahrnehmung und dem Verständnis von Bewegungen des eigenen Körpers sowie mit der Fähigkeit, diese Bewegungen zu steuern. Es handelt sich um ein Konzept, das eng mit der Körperwahrnehmung, der Motorik und der Bewegungskontrolle verbunden ist. Der Begriff setzt sich aus den griechischen Wörtern „kinesis“ (Bewegung) und „aisthesis“ (Wahrnehmung) zusammen. Es ist wichtig zu beachten, dass der Begriff Kinästhetik je nach Kontext unterschiedliche Bedeutungen haben kann, aber im Allgemeinen bezieht er sich immer auf die Wechselwirkung zwischen Bewegung und Wahrnehmung. Wir beschäftigen uns in diesem Artikel mit dem Begriff im Zusammenhang mit der Pflege und Gesundheitsversorgung.

Kinästhetik wird in der Pflege verwendet, um die Bewegungen von Patienten zu unterstützen und die Arbeit von Pflegekräften effektiver und schonender zu gestalten. Es beinhaltet Techniken, die auf einem Verständnis der menschlichen Anatomie, Physiologie und Bewegungsdynamik basieren. Damit ist es möglich, mit kleinem Aufwand größere Bewegungseffekte zu erzielen.

Kinästhetik in der Pflege

In der Pflege und Gesundheitsversorgung ist die Kinästhetik eine spezielle Methode, die entwickelt wurde, um die körperliche Bewegung von Patienten zu erleichtern und die Arbeit der Pflegekräfte zu optimieren. Das Konzept wurde von den US-amerikanischen Krankenschwestern Lenny Maietta und Hubert E. Blenkle in den 1970er Jahren entwickelt.

Im Kern besteht die Kinästhetik darin, die Bewegungsabläufe der Patienten und Pflegekräfte so aufeinander abzustimmen, dass sie möglichst mit wenig Aufwand (körperlich) für den Pflegenden stattfinden. Auf der anderen Seite soll die pflegerische Interaktion gezielt und systematisch die Unterstützung zur Selbsthilfe im Bereich der Beweglichkeit bieten. Jeder Bewegungsablauf sollte entsprechend auf die vorhandenen Bewegungsmöglichkeiten des zu pflegenden Menschen ausgerichtet sein. Die Abläufe werden so gestaltet, dass der Patient sie gut nachvollziehen, und soweit möglich, selber steuern kann. So sollte nicht der Pfleger die Abläufe alleine vorgeben, sondern der Patient kann sie weitestgehend selbst ausführen. Währenddessen passt sich der Körper des Pflegenden sinnvoll an den Bewegungsablauf des Patienten an.

Statt der üblichen Hebel- und Tragkräfte sollten vermehrt Zug- und Druckkräfte eingesetzt werden. Dies ermöglicht es dem hilfsbedürftigen Menschen, eigeninitiativ und aktiver am Geschehen teilzunehmen.

Es geht um Effektivität für den Pflegenden und die gleichzeitige Eigeninitiative des Patienten.

Die Anwendung der kinästhetischen Prinzipien findet gezielt in der Alten- und Krankenpflege Anwendung. Dabei wird darauf abgezielt, durch die Integration der kinästhetischen Prinzipien die Wahrnehmung der Patienten in Bezug auf ihre eigene Bewegung zu verbessern und damit neue Lernprozesse zu fördern.

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Kinästhetik – die 6 Konzepte

Es gibt in der Kinästhetik 6 Konzepte, die zusammen ein System bilden. Die einzelnen Konzepte greifen dabei ineinander, damit jede Bewegung systematisch beachtet und angepasst werden kann. Damit soll die Mobilisation des Patienten maximal unterstützt werden.

Konzepte Erklärung
Interaktion Dieses Konzept befasst sich mit den Kontakt- und Austauschmöglichkeiten zwischen Pflegebedürftigen und Pflegepersonen. Es legt den Fokus auf die gemeinsame und schrittweise Bewegung während der pflegerischen Tätigkeiten.
funktionelle Anatomie Die funktionelle Anatomie unterteilt den menschlichen Körper in Massen und Zwischenräume. Massen sind Kopf, Brustkorb, Arme & Beine, Becken. Zwischenräume sind Achseln, Schultern, Taille und Hals. Grundsatz hier: „Massen fassen, Zwischenräume spielen lassen
menschliche Bewegung Die menschliche Bewegung besteht aus: Beugen, Strecken und Drehen. Diese macht man sich durch spiralige Bewegungen zu Nutze und erleichtert damit die Mobilisation. Sie entlastet zudem den Pflegenden.
menschliche Funktion Die menschliche Funktion unterscheidet 7 Grundpositionen wie Rückenlage, Sitzen und Stehen. Durch einfache Gewichtsverlagerung kann der Patient diese teils selbstständig einnehmen oder daran mitarbeiten.
Anstrengung Der Patient wird durch gezielten Druck oder Zug der Massen zur selbständigen Bewegung animiert. Körperliche Anstrengung soll damit gezielt eingesetzt und eine Überanstrengung vermieden werden.
Umgebung Dieses Konzept betrachtet die Bewegungsabläufe im Zusammenspiel mit der Umgebung. Es berücksichtigt, wie Hilfsmittel oder auch Möbel, die zur Mobilisation eingesetzt werden können und wie diese optimal genutzt werden.

Kinästhetik Ziele für die Pflege

In erster Linie geht es darum, dass Patienten mit effektiven Methoden durch das Pflegepersonal mobilisiert werden können, ohne dabei die Pfleger zu überanstrengen. Gleichzeitig steht die Rückgewinnung oder Beibehaltung der Eigenständigkeit und Mitbestimmung in der Bewegung im Vordergrund. Dies sind die Ziele der Kinästhetik im Überblick:

  1. Bewegungsförderung: Kinästhetik legt Wert darauf, die Bewegungsfähigkeiten von Patienten zu unterstützen und zu fördern. Dies kann dazu beitragen, Komplikationen wie Dekubitus (Druckgeschwüre) zu verhindern, die durch langes Liegen entstehen können.
  2. Ergonomie für Pflegekräfte: Die Methode zielt darauf ab, Pflegekräften Techniken beizubringen, die ihre eigene körperliche Belastung reduzieren. Dies kann die Vermeidung von Rückenverletzungen und anderen gesundheitlichen Problemen, die durch wiederholte, unangemessene Bewegungen entstehen können, einschließen.
  3. Verbesserung der Patientenautonomie: Kinästhetik legt Wert darauf, die Autonomie der Patienten in Bezug auf ihre eigenen Bewegungen zu fördern. Dies kann durch die Anwendung von Techniken und Hilfsmitteln erreicht werden, die es den Patienten ermöglichen, so selbstständig wie möglich zu agieren.
  4. Kommunikation durch Berührung: Kinästhetik betont auch die Bedeutung der Kommunikation zwischen Pflegekraft und Patient durch sanfte Berührung. Dies kann dazu beitragen, Vertrauen aufzubauen und den Patienten bei der Bewegung zu unterstützen.

Die Anwendung von Kinästhetik in der Pflege erfordert spezielle Schulungen für Pflegekräfte, um die Prinzipien und Techniken erfolgreich umsetzen zu können. Es ist eine praxisorientierte Methode, die darauf abzielt, die Qualität der Pflege zu verbessern und die Lebensqualität der Patienten zu erhöhen. In speziellen Kursen und Pflegeschulungen werden die Prinzipien der Kinästhetik vermittelt und geübt. Sie können Pflegekurse kostenlos belegen, die Pflegekassen müssen diese laut Paragraf 45 SGB XI unentgeltlich anbieten.

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Was bedeutet Mobilisation?

Unter Mobilisation versteht man Maßnahmen und Aktivitäten, die darauf abzielen, die Beweglichkeit, Flexibilität und Funktionalität des Körpers zu fördern.
In der Pflege bezieht sich Mobilisation darauf, Patienten bei der Bewegung zu unterstützen, insbesondere wenn sie aufgrund von Krankheit, Verletzung oder Operation eine eingeschränkte Mobilität haben oder sogar bettlägerig sind. Dies kann das Aufstehen aus dem Bett, Gehen oder andere Aktivitäten umfassen.
Mobilisationsmaßnahmen können je nach individuellen Bedürfnissen und dem Gesundheitszustand der Person variieren. Der Zweck der Mobilisation ist es, die Selbstständigkeit, Lebensqualität und Gesundheit der Betroffenen zu fördern.

Was sind die Vorteile?

Kinästhetik legt einen starken Fokus auf die Förderung der Eigeninitiative und Selbstständigkeit der Patienten. Durch gezielte Bewegungsunterstützung wird versucht, die Patienten so weit wie möglich in die Pflegeprozesse einzubeziehen und ihre Autonomie zu stärken. Die Anwendung von Kinästhetik-Prinzipien kann aber die Qualität der Pflege auch insgesamt verbessern. Durch das Verständnis der physiologischen Bewegungsmuster und die Anpassung von Pflegetechniken werden effizientere und schonendere Pflegepraktiken ermöglicht. Kinästhetik kann zudem dazu beitragen, bestimmte Komplikationen im Zusammenhang mit eingeschränkter Mobilität zu verhindern. Dazu gehören beispielsweise Druckgeschwüre, Muskelatrophie, Gebrechlichkeit und Gelenksteifheit. Die Schulung von Pflegekräften in kinästhetischen Techniken ermöglicht es diesen, Bewegungen effektiver durchzuführen und dabei ihre eigenen körperlichen Belastungen zu reduzieren. Dies kann langfristig zu einer Verringerung von berufsbedingten Verletzungen führen. Durch die bewusste Anwendung von Kinästhetik-Prinzipien, die auf Respekt, Kommunikation und Zusammenarbeit basieren, kann eine positive Beziehung zwischen Patient und Pflegekraft gefördert werden. Dies trägt zu einem unterstützenden Pflegeumfeld bei. Kinästhetik ermöglicht es Pflegekräften, sich auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten jedes Patienten einzustellen. Dies fördert eine personalisierte Pflege, die auf die spezifischen Anforderungen des Einzelnen abgestimmt ist.

  • Selbstständigkeit der Patienten fördern
  • Qualität der Pflege steigern
  • Komplikationen vorbeugen (Druckgeschwüre, Gelenksteifheit)
  • körperliche Belastung der Pflegenden reduzieren
  • positive Beziehung fördern (mehr Kommunikation)

Fazit Kinästhetik

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Anwendung von Kinästhetik in der Pflege eine Vielzahl von Vorteilen bietet, die sich positiv auf die Qualität der Versorgung und das Wohlbefinden der Patienten auswirken. Durch den Fokus auf Selbstständigkeit, die Vorbeugung von Komplikationen, die Reduzierung von Belastungen für Pflegekräfte und die Förderung positiver Patienten-Pflegekraft-Beziehungen wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt. Die Schulung von Pflegekräften in kinästhetischen Prinzipien ermöglicht es, die Pflege individueller an die Bedürfnisse jedes Patienten anzupassen und dabei respektvolle, unterstützende Interaktionen zu fördern. Die Prävention von Komplikationen im Zusammenhang mit eingeschränkter Mobilität und die Reduzierung von Belastungen für Pflegekräfte und pflegende Angehörige können die Langzeitgesundheit und Zufriedenheit verbessern. Insgesamt trägt die Anwendung von Kinästhetik dazu bei, die Pflegequalität zu steigern, die Selbstbestimmung der Patienten zu fördern und die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte zu verbessern. Es handelt sich um einen ganzheitlichen Ansatz, der das Zusammenspiel von Bewegung, Interaktion und individuellen Bedürfnissen in den Mittelpunkt stellt.


 

Quellen

https://www.zqp.de/wp-content/uploads/ZQP_Naturheilkunde_Kin%C3%A4sthetik.pdf

https://www.researchgate.net/publication/258554505_Kinasthetik_-_Konzept_und_Einsatzmoglichkeiten_in_Gesundheitsberufen