Pflegegrad Widerspruch | Das sind Ihre Erfolgsaussichten

Die Beantragung eines Pflegegrades ist für viele Menschen ein wichtiger Schritt, um notwendige Unterstützung und Pflegeleistungen zu erhalten. Doch trotz sorgfältiger Prüfung durch die zuständigen Gutachter kommt es gelegentlich vor, dass der zugewiesene Pflegegrad nicht den tatsächlichen Bedürfnissen entspricht. In solchen Fällen ist es möglich, einen Widerspruch gegen die Entscheidung über den Pflegegrad einzulegen.

Pflegegrad Widerspruch

Das Gutachten des medizinischen Dienstes

Um den Pflegegrad zu bestimmen, wird ein Gutachten erstellt. Dazu kommt ein Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes (MD) zu Ihnen, um sich ein Bild der benötigten Pflegeunterstützung zu machen. Während des Besuchs wird der Gutachter verschiedene Aspekte wie Mobilität, Selbstversorgung, kognitive Fähigkeiten und Kommunikation, Verhaltensweisen und psychische Probleme, soziale Kontakte und Umgang mit therapiebedingten Anforderungen bewerten. Der Gutachter dokumentiert seine Beobachtungen und Bewertungen anhand eines standardisierten Fragebogens. Basierend auf den gesammelten Informationen und ärztlichen Dokumenten zur Krankengeschichte, erstellt der Medizinische Dientst ein Gutachten, das den Grad der Pflegebedürftigkeit beschreibt und einen Vorschlag für die Zuordnung eines Pflegegrades macht.

Der Gutachter gibt seine Einschätzung an die Pflegekasse weiter und diese entscheidet dann über den zugeteilten Pflegegrad.

Es ist wichtig zu beachten, dass der Medizinische Dienst unabhängig und neutral ist und seine Bewertung objektiv durchführt, um sicherzustellen, dass die Pflegegrade gerecht und angemessen vergeben werden.

Die Entscheidung der Pflegekasse

Die Entscheidung über den Pflegegrad bekommen Sie dann ca. ein bis zwei Wochen später schriftlich von der Pflegekasse mitgeteilt. Diese stützt ihre Entscheidung auf das Gutachten des medizinischen Dienstes. Zur Ablehnung oder Bewilligung des Pflegegrades wird ebenfalls das Gutachten des MD gelegt. Dieses sollten Sie auch einfordern, sollte es nicht beiliegen.

Warum kann es zu einer Fehleinschätzung kommen?

Die Gründe, warum ein Gutachten die tatsächlichen Pflegeansprüche nicht erfassen konnte, sind vielfältig. Einige treten jedoch häufiger auf und können bei einem Widerspruch herangezogen werden.

  • Tagesform: Am Tag des Besuchs des MDs ist die pflegebedürftige Person fitter als sonst. Durch die Aufregung war sie ansprechbarer und wirkte selbständiger, als sie eigentlich ist.
  • Scham: Oft schämen sich ältere Menschen für ihre Unselbständigkeit und spielen dem Gutachter vor, dass sie noch „alles“ alleine bewerkstelligen können.
  • Gesundheitszustand: Der Gesundheitszustand und damit der Pflegebedarf können sich nach dem Gutachten plötzlich verschlechtert haben.
  • Aspekte wurden vergessen: Wenn zum Beispiel der Gutachter nicht mit einbezogen hat, dass im Haus das Treppensteigen nur mit Hilfe vollzogen werden kann.

Wie lege ich Widerspruch ein?

Wird Ihr Antrag auf einen Pflegegrad abgelehnt, oder ist der zugeteilte Pflegegrad Ihrer Meinung nach zu niedrig angesetzt, so können Sie dagegen Widerspruch einlegen. Spätestens wenn Sie Widerspruch einlegen wollen, benötigen Sie das Gutachten des MD. Haben Sie dieses nicht bereits mit dem Bescheid der Pflegekasse erhalten, fordern Sie es jetzt ein. Denn um einen Widerspruch einzulegen, benötigen Sie eine gute Begründung für Ihren Einspruch und diesen können Sie am besten mit dem vorhandenen Gutachten argumentieren.

Scheuen Sie bei der Begründung keine Mühe, diese ist maßgeblich für die Erfolgsaussichten des Widerspruchs!

Der Widerspruch muss schriftlich erfolgen und das bis zu einem Monat ab Zustelldatum des Bescheids. Sie können auch zunächst einen formlosen Widerspruch einlegen und die Begründung dann nachreichen. Aber auch dieser muss spätestens nach einem Monat bei der Pflegekasse eingegangen sein.

Um Widerspruch bei der Pflegekasse einzulegen, ist es wichtig, dass die Pflegekasse in ihrem Bescheid auf diese Möglichkeit hinweist. Dies wird als Rechtsmittelbelehrung bezeichnet. Wenn im Bescheid kein Hinweis auf die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen, enthalten ist, beträgt die Frist für die Einlegung des Widerspruchs ein Jahr.

Der Widerspruch sollte zudem als Einschreiben mit Rückschein erfolgen, es reicht nicht, eine E-mail zu verfassen!

Was passiert, wenn die Frist abgelaufen ist?

Nach Ablauf der Widerspruchsfrist gilt der Bescheid als „bestandskräftig“, was bedeutet, dass die darin festgelegten Entscheidungen rechtlich bindend sind. Sollte innerhalb der festgesetzten Frist kein Widerspruch eingelegt worden sein, ist eine direkte Änderung des Pflegegrades nicht mehr möglich. Stattdessen muss ein neuer Antrag gestellt werden, der eine erneute Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) oder eine vergleichbare Institution nach sich zieht.

Die erneute Begutachtung kann jedoch erst frühestens nach einem Zeitraum von mindestens sechs Monaten erfolgen. Während dieser Zeit ist es wichtig, dass sich die pflegerische Situation des Antragstellers möglicherweise verändert hat oder sich neue Umstände ergeben haben, die eine Anpassung des Pflegegrades rechtfertigen könnten.

Es ist daher ratsam, den Verlauf der Pflegesituation sorgfältig zu dokumentieren und gegebenenfalls relevante Änderungen oder Verschlechterungen der Pflegebedürftigkeit zu melden, um eine angemessene Pflegeversorgung sicherzustellen.

Sollte sich der Gesundheitszustand nach Ablauf der Widerspruchsfrist rapide verschlechtern, können Sie aber natürlich sofort einen neuen Antrag stellen.

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Welche Unterlagen benötige ich für den Widerspruch?

Sie müssen den Widerspruch nicht in einer bestimmten Form einreichen, es reicht ein einfaches Schreiben. Hier enthalten sollten natürlich sein:

  • Name und Anschrift des Versicherten
  • Versichertennummer
  • Das Aktenzeichen
  • Datum des Bescheids, auf den Bezug genommen wird
  • Und natürlich der Widerspruch

Wichtig ist, dass Sie selbst den Brief unterschreiben, oder Ihre gesetzliche Vollmacht dies tut. Die Begründung für den Widerspruch können Sie sofort mitschicken oder nachreichen. Machen Sie aber darauf aufmerksam, wenn Sie ihn nachreichen wollen.

Gründe für einen Widerspruch

Das Wichtigste an einem Widerspruch gegen die Pflegegrad Entscheidung sind natürlich die Gründe. Was können also die richtigen Argumente sein, warum der Pflegegrad falsch zugeteilt oder abgelehnt wurde.

Wie bereits oben beschrieben, kann es an der Tagesform oder auch am Widerwillen der pflegebedürftigen Person gelegen haben, dass die Pflegebedürftigkeit zu niedrig eingeschätzt wurde. In jedem Fall sollten Sie ihre Gründe gut argumentieren können. Studieren Sie deshalb den Bericht des MD genau und notieren, wo sich das Gutachten von der wirklichen Pflegesituation unterscheidet. Benötigt die Person bspw. einen Rollator, kann sie das Treppensteigen zumeist nicht mehr alleine bewältigen und benötigt Hilfe. Hier kann vom Arzt eine Bestätigung für die Verschreibung eines Hilfsmittels eingeholt werden, um dies zu belegen. Atteste, Arztbriefe, Medikamentenpläne oder auch Entlassungsberichte von Krankenhäusern werden in der Regel bereits beim Gutachten vorgelegt. Aber wenn am Tag des Gutachtens ein medizinischer Bericht nicht vorlag, kann dieser jetzt als Beleg eingereicht werden.

Hilfreich kann es auch sein, ein sogenanntes Pflegetagebuch zu führen. Dort halten Sie fest, wer welche Tätigkeit im Alltag unterstützt. So entsteht ein gutes Bild, welche Pflege an welcher Stelle benötigt wird. Dies hilft Ihnen auch bei einer Argumentation für einen höheren Pflegegrad.

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Erhalte ich während des Widerspruchsverfahrens Leistungen oder ändert sich meine Pflegesituation?

Während des Widerspruchsverfahrens bleiben in der Regel Ihre bestehenden Leistungen unverändert, sofern Sie bereits welche erhalten. Das bedeutet, dass die Pflegesituation während des Widerspruchsverfahrens normalerweise nicht verändert wird. Sie behalten Ihre Leistungen bis zur endgültigen Entscheidung über Ihren Widerspruch.

Hilfe beim Pflegegrad Widerspruch

Es ist nicht einfach, ein Pflegegutachten zu verstehen und die Fehleinschätzungen zu finden. Hierbei können Sie sich aber Hilfe von professioneller Seite holen. Ärzte und bereits beauftragte Pflegedienste können Sie dabei unterstützen, das Gutachten zu verstehen und mit dem tatsächlichen Pflegebedarf abzugleichen. Sie können aber auch im Rahmen der Pflegeberatung Unterstützung bekommen. In Deutschland haben pflegebedürftige Personen und ihre Angehörigen das Recht auf Pflegeberatung. Diese Beratung wird von Pflegekassen und anderen Trägern bereitgestellt und zielt darauf ab, sicherzustellen, dass pflegebedürftige Menschen und ihre Familien die bestmögliche Versorgung erhalten. Die Beratung wird in der Regel von geschultem Personal durchgeführt und umfasst Informationen zur Pflege sowie zu Entlastungs- und Unterstützungsmöglichkeiten. Die Pflegeberatung ist kostenlos und wird auch von Pflegefachkräften angeboten, die sich sehr gut mit der Materie auskennen.

Ablauf des Widerspruchsverfahren

Ist alles bei der Pflegekasse eingegangen, überprüft diese Ihren Widerspruch. Dabei wird sie meist ein zweites Gutachten beauftragen. Entweder werden die Akten noch einmal vom MD überprüft oder ein zweites Gutachten vor Ort wird in Auftrag gegeben. Der Medizinische Dienst wird den Pflegebedürftigen dafür ein weiteres Mal aufsuchen, um sich einen umfangreichen Eindruck zu machen, wo eventuell noch offene Pflegebedürfnisse sind. Wird daraufhin von der Pflegekasse entschieden, dass die neue Einschätzung zu Ihren Gunsten ausfällt, bekommen Sie einen positiven Bescheid und der Pflegegrad oder die Pflegeleistung wird angepasst. Wenn die Pflegekasse aufgrund des Gutachtens den Widerspruch ablehnt, bekommen Sie darüber einen Widerspruchsbescheid.

Was, wenn mein Widerspruch abgelehnt wird?

Wenn Ihr Widerspruch abgelehnt wird, haben Sie in der Regel die Möglichkeit, einen weiteren Rechtsbehelf einzulegen. In Deutschland können Sie in solchen Fällen Klage beim Sozialgericht erheben. Dafür müssen Sie innerhalb einer bestimmten Frist (auch hier max. einen Monat nach Erhalt des ablehnenden Bescheids) Klage einreichen. Auch die Klage muss schriftlich beim Gericht erfolgen. Am besten per Einschreiben mit Rückschein. Eine E-mail ist auch hier nicht möglich.

Das Sozialgericht wird dann Ihren Fall prüfen und eine Entscheidung treffen. Es ist ratsam, sich rechtzeitig rechtlichen Rat bei einem Anwalt oder einer Anwältin zu holen, der oder die auf Sozialrecht spezialisiert ist, um Ihre Chancen zu bewerten und Sie bei der weiteren Vorgehensweise zu unterstützen.

Gerichtskosten fallen vor dem Sozialgericht meist nicht an!

Kann ich rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen?

Sie können einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin konsultieren, die auf Sozialrecht spezialisiert ist. Ein Anwalt kann Sie über Ihre Rechte informieren, den Widerspruchsprozess leiten, rechtliche Schritte einleiten und Sie vor Gericht vertreten, wenn nötig. Wenn Ihr Verfahren zu Ihren Gunsten ausgeht, so werden die Anwaltskosten von der Pflegekasse bezahlt.

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Fazit Widerspruch Pflegegrad

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Möglichkeit eines Widerspruchs gegen die Entscheidung über den Pflegegrad eine wichtige rechtliche Option darstellt, um sicherzustellen, dass die Pflegebedürftigkeit angemessen bewertet wird. Die Einlegung eines Widerspruchs erfordert eine sorgfältige Vorgehensweise, einschließlich der rechtzeitigen Einreichung des Widerspruchs und der klaren Formulierung einer Begründung. Es ist entscheidend, dass alle erforderlichen Schritte korrekt durchgeführt werden, um die Chancen auf Erfolg zu maximieren. Darüber hinaus ist es wichtig zu beachten, dass nach Ablauf der Widerspruchsfrist der Bescheid als „bestandskräftig“ gilt und eine direkte Änderung des Pflegegrades nur durch einen neuen Antrag und eine erneute Begutachtung möglich ist. Diese erneute Begutachtung kann jedoch erst frühestens nach einem Zeitraum von mindestens sechs Monaten erfolgen. In der Zwischenzeit ist es ratsam, eventuelle Änderungen oder Verschlechterungen der Pflegesituation sorgfältig zu dokumentieren, um sie bei der nächsten Begutachtung zu berücksichtigen. Insgesamt bietet das Widerspruchsverfahren eine wichtige Möglichkeit, sicherzustellen, dass die Pflegebedürftigkeit angemessen berücksichtigt wird und die erforderliche Pflegeversorgung gewährleistet ist. Es ist jedoch ratsam, sich bei rechtlichen Fragen oder Unsicherheiten an eine qualifizierte Beratungsstelle oder einen Rechtsanwalt zu wenden, um eine professionelle Unterstützung zu erhalten.

 


 

Quellen

https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/gesundheit-pflege/pflegeantrag-und-leistungen/begutachtung-durch-medizinischen-dienst-so-koennen-sie-sich-vorbereiten-13414

https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/gesundheit-pflege/pflegeantrag-und-leistungen/pflegegrad-abgelehnt-so-wehren-sie-sich-mit-widerspruch-und-klage-11547

https://www.aok.de/pk/pflege-im-alltag/pflegegrade/